Was da ist
Vernissage zu Ausstellung der Projektgruppe Druckgrafik „Bergisch Land“ in der Galerie Kirschey, Güterhallen im Südpark Solingen
am 20. September 2020
Liebe Fans der Druckgrafik!
Große Freude empfinde ich, dass Sie alle gekommen sind, um wieder Kunst zu erleben, und ich Ihnen ein wenig über das alte Handwerk des Drucks und die Arbeiten der Projektgruppe Druckgrafik im Berufsverband Bildender Künstler Bergisches Land sprechen kann.
Unter dem Motto „Was da ist“ mit dem Unterton, ob überhaupt noch etwas da ist, einer Art Suche und Bestandsaufnahme standen die ersten vorsichtigen Treffen in der Druckwerkstatt an der Unterbarmer Friedrich Engels Allee, so erzählte Ulla Schenkel und bei der Suche nach einem Titel für den nun tatsächlich wieder herausgekommenen beliebten Kalender, den siebenten schon, war schnell klar: „Was da ist“ und je nachdem, wie das mittlere Wort „da“ betont wird, verändert sich der Sinn der Dreierkonstellation! Eine Druckwerkstatt stellt Drucksachen her.
Aber wir eröffnen hier nicht eine Ausstellung von massenhaft bedruckten Papiersachen, sondern mit Ergebnissen aus alten Drucktechniken! Sie entstehen in Arbeitsgängen mit historischen Druckpressen, die die UNESCO im Frühjahr 2018 in ihre Liste als Immaterielles Weltkulturerbe aufgenommen hat. Endlich! So freuten sich die Mitglieder der BBK Druckwerkstatt, die seit 2006 in Unterbarmen arbeitet und viele andere Künstlerinnen und Künstler in der Welt, die sich mit dem jahrhundertealten Handwerk auseinandersetzen: Endlich ist einigermaßen sicher, dass das Wissen und die handwerklichen Fertigkeiten geschützt sind und nicht verloren gehen können, in einer Zeit, in der wir alle unseren digitalen „Drucker“ ganz selbstverständlich am Schreibtisch neben uns stehen haben.
Was ist „drucken“?
„Drucken ist die Wiedergabe einer textilen respektive bildlichen Darstellung in beliebiger Anzahl durch Übertragung von Druckfarben bzw. färbenden Substanzen auf den Bedruckstoff mittels einer Druckform. DIN 8730“. So heißt es ganz nüchtern in der DIN-Normen-Liste.
Im Unterschied zum Zeichnen und Malen, bei dem wir direkt mit Stift und Hand auf eine Bildunterlage arbeiten, entstehen gedruckte Bilder nie direkt, sondern durch eine „Druckform“, ein materielles Medium, Zwischenstück, das erst hergestellt werden muss, bevor ein Bild entsteht. Drucken ist also eher ein bildhauerisches, ein formendes Arbeiten – ein Arbeiten mit dreidimensionaler Materie. Gedruckte Bilder entstehen nicht gleich auf zweidimensionaler Fläche, sondern in einem ersten Schritt durch Formen! Die Form ist ein Druckstock beim Holzschneiden, eine Platte beim Linolschnitt, eine Metallplatte bei der Radierung, eine gewichtige, dicke Steinplatte bei der Lithographie! Beim Drucken brauchen wir ein gutes Vorstellungsvermögen und Geduld: „Unter Druck“ durch Pressen oder durch Reiben entstehen die Bilder, nachdem sie von der Form auf den Bildgrund abgedruckt wurden. Neben aller kalkulatorischen, genauen Vorplanung bei der Herstellung der Druckform gehört noch etwas anderes dazu: die Vorfreude, Anspannung auf den aufregenden Augenblick, in dem wir schauen, „was da ist“, beim Abzug des Bildgrundes und Herumdrehen, schauen, was da verborgen war, wie es geworden ist, welche Überraschung das Material trotz genauer Vorplanung und exakter Vorarbeit bereit hält: Dieser Überraschungseffekt, auch die innere Toleranz, die Unwägbarkeit zuzulassen, die eben bei jeder Bildentstehung mitspielen, macht vielfach den Reiz dieser Grafiken aus.
Dieses Handdrucken ist keineswegs museal, sondern wir spüren auch in unserer Ausstellung ganz aktuell verschiedene Kräfte, Ausdrucksmöglichkeiten und Wirkungen der Bilder, je nach ihrer Entstehungstechnik:
Die älteste Technik, die hier vertreten ist, ist die des Holzschnitts. Sie entstand in China schon im 10. Jahrhundert, in Europa gehörte sie zu den großartigen Vermittlern der Emanzipation des Menschen im ausgehenden 14. Jahrhundert, der Renaissance. Eine Vorform gab es in den Modeln aus dem Textildruck. Holzschnitte lieferten im Buchdruck die Illustrationen, weil die Druckplatten einfach in die Setzkästen der Schriftdrucker eingefügt wurden. So große Künstler wie Albrecht Dürer und Martin Schongauer begriffen von Anfang an auch den Holzschnitt als künstlerische, nicht nur illustrative Aufgabe.
Der Holzschnitt gehört zu den Hochdruckverfahren, denn hier bilden die Elemente das künftige Bild, die beim Wegschneiden des Holzes als Farbträger hoch stehen bleiben. Alles was wir nicht sehen sollen, muss also weggeschnitten werden, eine Art Arbeiten in der Negation, einem Widerspruch: Widerständig kann Holzdruck sein, je nach Machart: So spüren wir im intensiven, kompromisslosen Schwarz-Weiß Bild des Drachenmannes von Alvar Siefert geradezu den verzweifelten Duck des in der Maske Kontrolliert- und Gefangenenseins. Eindruckstark sind Bilder des Hochdrucks, festlegend in Linien und Teilflächen. Auch Maria Pienkowski gibt durch die grafische Festlegung breiter Linienführung ihrem Stempel in der Käfigform mit der dunklen Vogelsilhouette ein einprägsame, gültige Formulierung, Verbildlichung für das Leiden des Gefangenenseins. Ulla Schenkels Personen und Figuren sind in ihrer Gestik und erzählerischen Haltung ausgeschnitten wie aus Erinnerungsräumen. In der Bildfläche eröffnen sie in ihrer klaren Sprache die verlorene Welt aus Else Lasker-Schülers Leben. Experimentell sind ihre Drucke auf aquarellierte Papiere, zeigen ein Zwischenreich von Scherenschnitt, Malerei und Grafik.
Boris von Reibnitz, der hier in den Güterhallen sein Bildhaueratelier hat, verlässt die strenge Grenze des Schwarz-Weiß-Kontrasts und macht spielerisch durch den Abdruck verschiedener Schritte des Holzschnitts den Weg von der Skizze zum Vierfarbdruck deutlich. Spürbar wird in den Gelb-Rot-Farben eine innere freundliche Stimmung von Vagheit, ein Bild für Vermutung und Zuneigung. Hier eröffnet er dem eher statischen Holzschnitt einen Übergang ins Dynamische. Ganz anders und doch durch ähnlich experimentelle Neugier entstanden sind die beiden großformatigen Blätter von Petra Mohr. Sie zeigen uns ein gefundenes Bildzitat eines vielleicht peruanischen Kindergesichts, hellwach und zuversichtlich auf uns blickend, vom zweiten bis dritten Zustand des Schnittes immer stärker umwuchert von lebendigen Ornamentschichten, in dem die Figur des Vogel Phönix, Sinnbild des immer Wiederaufstehens, Auffliegens eingebettet ist.
Bei diesen Drucken wendet Petra Mohr den stichelnden Schnitt im Spanholz an. Der Druckstock entsteht aus senkrechtem Schnitt zur Maserung und wird mit Stichel bearbeitet, während der Schnitt auf Holzplatten entsteht, die parallel zur Maserung geschnitten sind. Barbara Helds Zweiplattendruck zeigt unter der Silhouette von Boot mit Eselchen den lasierenden Abdruck einer gemaserten Platte, die uns sogleich an Wasser denken lässt. Das Bildmotiv selbst entstand auf einer zweiten Platte. Barbara Held hat dieses Bildmotiv nicht erfunden, sie zitiert eine Fotografie von Paola Diva. Der Holzschnitt in seiner Vereinfachung lädt sich nun, in seiner Klarheit stark mit Mythos auf!
Einen weiten, raumgreifenden Schritt von der Fläche des Drucks zur bildhauerischen Arbeit beschreitet die Installation von Carmen Meiswinkel: Eingeschnittene Figurenbilder reihen sich reliefartig auf den Seiten eines aufragenden Pfeilers, der in der Mitte einer Kreuzung von Richtungsweisern auf dem Boden steht. Diese tragen auch holzschnittmäßig eingeschnitten, die Aufschriften „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Die Worte aus der Erklärung der Menschenrechte und des deutschen Grundgesetzes ergänzte die Künstlerin mit der beschwörenden Formulierung „in Ewigkeit“. Von einem Ring hängen über der Stele bedruckte Papierröhren herab. Sie zeigen Menschen, unterwegs auf der Suche nach dem Weg zum Leben in Würde. Meiswinkels Stellungnahme zu dem gegenwärtigen und doch jahrtausendealten verzweifelten Geschehen der Flüchtlingsströme spiegelt sich auch im Holzschnitt „Wegzeichen“. Hier finden wir wieder einen Zweiplattendruck: Auf den sanften, transparenten Abdruck gemaserter Holzfläche setzt sie die ins Holz geschnittenen weißen Figuren auf schwarzem Grund.
Radierungen
Den klang- und energievollen Holzschnitten stehen in unserer Austellung die Radierungen gegenüber, die oft in zarten Graustufen zwischentönig wirken, von Netzen, Schraffuren dünner Linien geprägt und eine ganz andere, aber nicht weniger intensive Sprache sprechen. Die Radierung entstand als Sonderform des Kupferstichs im Lauf des 15. Jahrhunderts. Sie gehört zu den Tiefdruckverfahren und bietet dem Künstler die Möglichkeit, durch Eingravuren, Prägungen, Schaben und Stechen in Kupfer oder Zinkplatten Linien und Bilder direkt einzuzeichnen. Nur die Spiegelverkehrtheit beim Druck ist zu beachten. Dürer wandte schon den Kupferstich an. Fast alchemistisch mutet das Heißnadel-Radieren oder auch Aquatinta-Verfahren an. Werden die Platten mit einer geschmolzenen Harzmasse wie Colophonium überzogen, und nach dem Erkalten dieser Colophoniumdecke eingeritzt, kann ein anschließendes Säurebad die freigelegten Metallpartien ätzen. Die Druckerfarbe sammelt sich in den freigelegten Flächen und Linien, man kann dieses Verfahren öfters wiederholen, so dass bestimmte Flächen wieder zugedeckt werden, andere durch die Säure erneut freigelegt. Dieses Verfahren führt zu malerischen Effekten, so dass der Eindruck des Nicht-Gedruckten, rein Gezeichneten entsteht, was zum Beispiel Rembrandt sehr schätzte.
Stephan Preuß arbeitet mit diesem Verfahren feinste Grauwerte heraus, Strukturen, Krakeluren, die dem allmählichen Verlöschen, Verschwinden der Dinge entsprechen. Der Kopf des Ertrinkenden ist ein Zitat vom Kopf des berühmten Michelangelo-David in Florenz, umgeben von leeren Booten in einer verheerenden Flut – es stellen sich Assoziationen apokalyptischer Vorgänge ein.
Melancholische Erinnerungen an die Welt alter Buchillustrationen rufen die Blätter von Tati Strombach-Becher hervor. Die vereinzelten, streng konturierten Elemente einer früheren Zirkuswelt wirken collagenartig in Bildpartien hineingesetzt, schwerelos, und doch herausgelöst, isoliert, verloren. Je nach Färbung verändert sich der Ausdruck des Bildes – wir sehen verschiedene Varianten des gleichen Druckstocks.
In Marlene Minterts Arbeit „Der Aufpasser“ begegnet uns wieder ein schwarzer Rabenvogel. Wir fühlen uns von seinem klugen Vogelblick gemustert, entdecken beim genaueren Betrachten das reizvolle Spiel zwischen exakter Deutlichkeit der Wiedergabe in der Vogelfigur bis zur Skizzenhaftigkeit der Raumbeschreibung.
Düstere, surreale Visionen entstehen in der Verdichtung des Strichs auf Anneli Schröders Blatt „Alles im Griff“ – eine scharfe satirische Entlarvung menschlicher Überheblichkeit!
Schablonenddruck
Zwischen Hoch und Tiefdruck ist der Schablonendruck, eine Sonderform des Siebdrucks, angesiedelt. Vorgefertigte, eingefärbte Schablonen werden direkt auf dem Bildgrund geordnet und abgedruckt. Dabei können vielschichtige Prozesse mit verschieden deckenden und lasierenden Farben entstehen. So zeigt uns Ulla Riedel Druckbilder aus lochkartenartig geschnittenen, gestanzten, gegeneinander verschobenen Schablonen rhythmische Flächentrukturen in flacher Bildräumlichkeit. . Sie erinnern an makroskopisch wirkende „organischer Gerüste“, wie Fragmente von Schnitten aus Wachstumszuständen.
Aus ünnem Metallfolien sind die Schablonen für die Bilder von Teresa Wojciechowska entstanden. Analog mittelalterlicher Präge- und Punzierungstechnik der Goldschmiedekunst, auch der Ikonentradition, erhalten die Schablonen strukturierte Oberflächen, die als feiner, untergründiger Abdruck in den Bildern sichtbar sind. „Ich und Ich“ – spiegelt die Vereinsamung des Menschen in der Isolation mit dem eigenen Gegenüber, nicht nur in der Zeit der Pandemie. Leben zwischen Stehen und Sitzen, Farben der wechselnden Gemütsstimmungen, dünnhäutig und durchsichtig. Temperamentvoll wirken die Abdrucke von Blättern mexikanischer Pflanzen auf recykelten Papiertüten, die uns Tatiana Stroganova von ihren Reisen nach Amerika mitbrachte, Bilder vom Kreislauf von Technik und Natur.
Als jüngste Drucktechnik in der Werkstatt ist die Lithographie vertreten. Sie arbeitet mit einem speziellen porösen Kalkschieferstein als Druckstock, den Solnhofener Platten, die mittlerweile fast kaum noch neu gebrochen zu finden sind. Die Lithographen hüten diese Platten wie einen Schatz. Auf den Stein tragen die Lithografen eine Zeichnung mit fetthaltiger Druckertinte bzw. Schwärze auf. Beim anschließenden Säurebad bleibt das gezeichnete Druckbild erhalten, an der nun die Druckfarbe für alle weiteren Drucke auch haften kann. Bei den Impressionisten, aber auch bei Expressionisten wie Edward Munch, wurde die Lithographie sehr beliebt. In den skizzenhaften Figuren der schnell bewegten Pferdekörper auf den Blättern von Sarah Doerr ist der Schwung des Zeichnens spürbar, ganz entsprechend den Schwingungsbewegungen der Pferde.
Ob Hoch- Flach-Tiefdruck ober Radierung, alle Techniken sind jahrhundertealt, wurden in Zeiten großer Dynamik wie der Renaissance, der französischen Revolution entdeckt, um neues Wissen und Selbstbewusstsein der Menschen weltweit zu vermitteln. In Zeiten der Veränderung entdecken aber gerade Künstler die Kostbarkeit alter Techniken, alten Wissens. Die Mühsamkeit der Bildherstellung ist für die Mitglieder der Bergischen Projektgruppe große Herausforderung – die Erklärungder historischen Verfahren als Weltkulturerbe wundervolle Bestätigung. Hier und heute sind die Druckwerke von drei Künstlern und 12 Künstlerinnen zu entdecken, die sich gegen die Entmutigung dieses Welt-Virus-Jahres gestellt haben! Schauen und kaufen Sie, was da ist!
Ich danke Ihnen für Ihr Interesse!